Was das Pfarrhaus oder vielmehr seine Bewohner seit 1917 erlebt haben, ist bis zu den Ereignissen des Jahres 1942 geschildert worden: Freud und Leid, Aufwachsen und Abschiednehmen der Kinder.
Es war gebaut worden 1808 mit aufopferungsfreudigem Sinn der Gemeinde, die eben das schwere Jahr 1806 mit dem Durchzug der Franzosen überwunden hatte. Seit dem Baujahre wohnten 7 Pfarrer in dem Hause, und beim Blättern in dem Kirchenbuche ist zu lesen, was sie an Glück, doch sicher mehr an Kummer und an Sorgen erlebten und durchlitten haben.
Als Pfarrer Müller 1836 starb, war er 63 Jahre alt und hinterließ acht Kinder, von denen erst eines majorenn (volljährig)war.
Noch schlimmer war es, als Pfarrer Fischer seine Augen für immer schloß im Alter von 49 Jahren und ebenfalls acht Kinder hinterließ, noch klein und unversorgt.
Aber auch Kindersärge sah das Haus. Eine Tochter Fischers heiratete den Pfarrer Glöckner, der ebenfalls Pfarrer in Sundhausen war. Diese Familie verlor eine Tochter im 11. Jahre und eines ihrer Kinder starb nach erhaltener Nottaufe.
Pastor Glöckner wurde später nach Uthleben versetzt.
Auch Haus und Hof haben sich im Lauf der Zeit gewandelt. Der düstere und stets von Strohresten verunschönte Hof erhielt nach Abriß der Scheune und des Holzstalles endlich ein würdiges Aussehen. Der Hofraum ging ohne störende Absperrung harmonisch über in den stattlichen Pfarrgarten mit seinen lauschigen Plätzen. Aus den Steinen der Tenne war ein Plattenweg geschaffen worden, auf dem man trocknen Fußes wandeln konnte.
Und vor dem Hause war nach Absterben mancher Bäume eine Trauerweide mit hüllenden Hängezweigen von Pfarrer Sachtleben gepflanzt worden. Unter dieser weitgespannten Weide saß man oft besinnlich und bei Kaffee und Gesprächen.
Daß das Pfarrhaus eine Zufluchtstätte aus Fernsein, Alltagslast und Hetze geblieben ist für die Pastorenkinder und viele liebe Freunde erzählen die Briefe und beweisen die Besuche vieler treuer Gäste.
Das Gedicht eines Gastes:
(Werner Lowsky 1941)
Das alte Pfarrhaus
Leise zittern die Blätter im Abendwinde,
und die Äste schwanken.
Winde wehn gelinde,
an den Wänden klettern Ranken.
Des Himmels Blau,
das noch so klar,
wird immer dunkler.
Nachtigallen schlagen.
Fliederdüfte schwelen.
Mondesglanz und Sternenfunkel:
So friedlich, feierlich die Seelen.
In seinen Mauern, von Gott geschützt,
schlaf ich die lange Nacht.
Frieden atmest du nur aus und Ruh.
Und als dürfte man nicht weh dir tun
schließ ich die Türe sacht.
Ich hab dich lieb, gut Nacht,
du gutes, altes Pfarrhaus du.
In das gute, alte Pfarrhaus flogen nun oft Nachrichten von den im Krieg stehenden Söhnen: gute Botschaft und weniger gute.
Es war ein bitter schwerer Tag, der 10. September 1944, an dem der Vater selbst in der Kirche seinem Sohne mit noch zwei Gefallenen aus der Gemeinde die Trauerfeier halten mußte und am Schluß sagen konnte: "Sein ganzes Leben war Liebe zu den Seinen bis zum letzten Atemzug."
Nach dem Gottesdienst fand am Gedenkstein eine Feier statt, wo der Redner der Parteiortsgruppe, ein Lehrer, unter anderem sagte: "Wie er für seinen Glauben, für seine religiöse Anschauung unerschrocken eintrat, so auch im Kampfe für das Vaterland und beim Fronteinsatz für die ihm unterstellten Kameraden, in einem Kampfe, in dem er mit dem Eisernen Kreuz und dem Verwundetenabzeichen ausgezeichnet wurde."
Das sagte jener Lehrer, der von mir hartnäckig verlangt hatte, mich tatkräftig an der "Eintopfsammlung" zu beteiligen. Ich hätte mich als Sammler einsetzen lassen, mußte aber ablehnen, weil diese "Eintopfaktionen" nur sonntags durchgeführt wurden.
An den Sonntagen aber mußte ich Gottesdienste in den drei Gemeinden halten: Sundhausen, Steinbrücken und Hain. Als man mich wegen dieser Sache weiterhin bedrängte, schrieb Martin einst aus Liebe zu seinem Vater an diesen Lehrer einen Brief.
Mir ist der Inhalt dieses Briefes nicht bekannt, jedoch die Partei nahm ihn sehr ungnädig auf: Martin wurde aus der SA entfernt (was ihn in keiner Weise unliebsam war) und von der Offiziersliste gestrichen. Dies ereignete sich, soweit ich mich erinnern kann, noch in den Jahren vor dem Kriege.
Nun an diesem Septembermorgen des Jahres 1944 stand dieser Lehrer an dem Ehrenmal und sprach Worte des Gedenkens an Martin, nicht pflichtgemäß klang es, was er sagte, er war innerlich beteiligt, er war auch ergriffen.
Hatte dieser Mann sich selbst dem Drucke der Partei gefügt, oder hatte eine Wandlung in ihm eingesetzt ?
Immer dunkler wird die Zeit, die Sirenen heulen jeden Tag,und Bomben fallen auf alle Orte, kürzlich auf Nordhausen und Wallhausen.
Am 20. Juli 1944 wurden auf Sundhausen über dreißig Bomben geworfen, die aber wenig Schaden anrichteten und nur einige Personen verwundeten.
Der große Saal beim Gastwirt Schmidt war wie Kartenblätter in sich zusammengestürzt.
In einem Hause wollte sich die Silberhochzeit-Gesellschaft eben an der Tafel niederlassen, als dicht am Hause eine Bombe niederging, und Staub, Schmutz und Glassplitter überschütteten die Teller und alle aufgetragenen Speisen, und die Silberbraut wurde leicht verwundet.
Kurz vor Ende des Krieges, am 3. und 4. April 1945, erfolgten zwei schwere Luftangriffe auf Nordhausen, die die gesamte Mittelstadt in Schutt und Asche legten.
Die Schwestern des Hausvaters verloren ihr Heim und fanden Zuflucht im Sundhäuser Pfarrhaus. Die älteste Schwester, Mariechen, blieb länger hier wohnen, während die jüngere, Johanna, bald wieder ein Zimmer bei einer Freundin in Nordhausen erhielt.
Nach der Rückkehr meiner Tochter mit ihrem Manne aus Prag wohnten diese bei uns im Pfarrhause.
Am 25. April 1945 wurde hier der kleine Sohn Martin Lowsky geboren. Der Hausvater holte einhalb sechs Uhr in der Frühe die Hebamme, aber der Junge weigerte sich hartnäckig, das Licht der Welt schnell zu erblicken. Erst als der Arzt geholt war und nachhalf, erscholl einhalb acht Uhr abends die frohe Kunde: Ein kleiner gesunder Junge ist angekommen.
Das war Grund zu neuer Freude, die besonders nötig war, weil der Krieg, verloren für Deutschland, viel Nöte und Sorgen gebracht hatte, und diese Last noch weiter wuchs, obwohl die amerikanische Besatzung hier glimpflich verfuhr.
Nordhausen wurde in Trümmer gelegt, weil sich die Stadt den anrückenden Amerikanern nicht ergeben wollte. So sind auch mein Geburtshaus und die Taufkirche zusammengesunken in Schutt und Scherben in den Tagen des dritten und vierten Aprils wenige Wochen vor Ende des Krieges.
Wieviel köstliche Erinnerungen knüpfen sich an diese Gebäude! Sie konnten vergehen, aber die innewohnenden Bilder bleiben uns und erquicken in Zeiten der Kümmernis.